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Eigene Texte II

Beispiel 4

Wege des Wissens – Epochen der Menschheit in zwölf Bildern

 

Antike

Was bedeutet für uns Altertum? Akropolis, Demokratie, Olympia, Alexander der Große? Sind es die sichtbaren Reste der Bauten, Ideen, Lebensformen und Taten? Es ist mehr als das, Tieferes. Die Welt der Antike spricht zu uns fühlbar anders als irgendeine andere Epoche der Kulturgeschichte. Etwas reagiert in uns angesichts der Trümmer ihrer Städte, der Fragmente ihrer Philosophen, der Berichte ihrer Chronisten. Sie rühren an unsere frühen Sedimente, passen zu den grundlegenden Dimensionen unserer Anschauung und unseres Denkens. Denn unsere ganze geistig-ästhethische Konstitution ist imgrunde antik geformt.

Die Ränder des Mittelmeers zwischen 500 vor und 500 nach Christus prägt griechischer Geist. Keine politische Einheit hat dies bewirkt, sondern etwas, das mächtiger zusammenhält: die festen Linien einer selbstbewussten, schon in archaischer Zeit einheitlich ausgebildeten Kultur. »Immer der Erste zu sein und voranzustreben den anderen«, formuliert die Ilias die Idee des »Agon«, des Wettkampfes, das vielleicht wirksamste unter den griechischen Idealen. Homer, Schrift, Kulte, Wettspiele: Überreich ausgerüstet mit kultureller Identität und politischer Freiheit bevölkern die Hellenen ihre mediterranen Stadtgründungen: Byzanz, Messina, Neapel, Massilia und viele andere.

Die Projektion des 19. Jahrhunderts – die Antike als alabasterfarbenes Aufklapp-theater – haben wir hinter uns gelassen. Ein frivoler Umzug zu Ehren des Dionysos, bei dem Kotfladen von einer Ansammlung zur anderen fliegen, bringt uns der Wahrheit der Antike schon näher, wenn auch nicht ihrem Verständnis. »Dass wir uns nicht zu wohl fühlen! Das war der Sinn des Maßhaltens unter Griechen – und wir!« Ob Nietzsche auf einer guten Spur war, als er sich so beklagte? Manches spricht dafür. Und Rom? Rom ist rechtwinklig an Leib und Seele – so lebt, erobert, erbt und vererbt es. Römische Kunst und Lebensverfeinerung: Beides bleibt ohne Hellas undenkbar. Die originären Hinterlassenschaften Roms sind Staat und Recht. Was dazwischen liegt, bleibt auch hier Legion.

© Horst Kappen 2000/2021